Man könnte meinen, es gehe um einen Mann. Einen mit rotem Schlips, schlechter Frisur und einer Vorliebe für Sätze, die keine Gedanken, sondern nur die Andeutung davon enthalten. Doch wer glaubt, dass dieser Mann und seine Leute das Problem seien, denkt zu kurz. Sie sind nicht die Krankheit, sondern das Symptom. Ein Seismograph für eine Gesellschaft, die auf den Erschütterungen der eigenen Geschichte schwankt.

Die eigentliche Frage ist nicht, wie diese Leute an die Macht kommen konnten – die eigentliche Frage ist, warum eine Welt geschaffen wurde, in der diese Leute nicht nur möglich, sondern unvermeidlich sind.

Es beginnt mit dem Vertrauen, das versiegt. Institutionen, die einst Stabilität versprachen, haben sich in abgehobene Selbstgespräche verwickelt. Parlamente wirken wie Theaterbühnen für ein Stück, das niemand mehr sehen will. Die Medien – einst eine Art gesellschaftliches Gedächtnis – sind PR-Agenturen für die jeweils empörendste Schlagzeile. Wenn das Fundament bröckelt, wendet man sich ab. Nicht, weil man eine neue Wahrheit hat, sondern weil man sich in der alten nicht mehr erkennt.

Und dann die Wahrheit selbst – einst eine Währung, heute eine Meinungsoption. Man könnte über Daten und Fakten streiten, aber warum? Jeder hat seine eigene Realität, in der die Erde wahlweise rund, flach oder eine Simulation ist. Die Medien haben den politischen Diskurs in eine Kneipenschlägerei verwandelt, bei der niemand mehr zuhört, weil alle nur darauf warten, selbst loszuschlagen. Algorithmen verstärken das, was bereits geglaubt wird. Und weil Polarisierung die Interaktionsrate erhöht, ist der klügste Satz immer der einfachste: „Die anderen sind schuld.“

Die Ungleichheit wächst, die Gesellschaft fragmentiert sich, und wer wirtschaftlich abstürzt, sieht in den Phrasen dieser Leute kein Problem, sondern ein Versprechen. Wo früher Argumente standen, stehen jetzt Feindbilder. Wo früher Debatten stattfanden, herrscht heute moralischer Absolutismus. Politik wird nicht mehr ausgehandelt, sondern gefühlt – und wer nicht in dasselbe Gefühl einstimmt, ist ein Feind.

Das alles ist nicht neu, aber es eskaliert in einer Welt, die nicht mehr innehält. Politik folgt der Logik der Aufmerksamkeitsökonomie, in der es nicht darauf ankommt, was gesagt wird, sondern wie oft es geklickt wird. Das Leise, Bedächtige, das Zögernde hat keinen Platz mehr, weil es sich schlecht verkauft. Reflexion ist nicht teilbar, Empörung hingegen schon. Also wird die Öffentlichkeit zur Arena, in der nur noch die lautesten Gladiatoren überleben.

Was bleibt, ist die Frage, ob Aufklärung in einer Welt, die sich selbst über das Nächstliegende täuscht, überhaupt noch eine Chance hat. Ob Demokratie ohne den gemeinsamen Nenner der Realität bestehen kann. Oder ob wir uns längst an einen Zustand gewöhnt haben, in dem das, was wahr ist, weniger zählt als das, was sich gut anfühlt.

Diese Leute erreichen die Macht, nicht weil sie besonders sind, sondern weil wir orientierungslos sind. Weil wir uns zwischen den Bruchstücken vergangener Gewissheiten bewegen und so tun, als gäbe es noch einen festen Boden unter unseren Füßen. Weil wir uns nicht mehr auf gemeinsame Wahrheiten einigen können, sondern stattdessen in Parallelwelten leben, die sich gegenseitig als Lügen diffamieren.

Weil wir süchtig nach Empörung sind, weil wir unsere Aufmerksamkeit nicht mehr selbst steuern, sondern von Algorithmen steuern lassen. Weil wir lieber schnelle Antworten als komplizierte Fragen haben und lieber an die Schuld der anderen glauben als an die Möglichkeit, dass das Problem in uns selbst liegt.

Weil wir verlernt haben, zuzuhören. Weil wir lieber Sieger haben als Lösungen. Weil wir Angst haben – Angst vor Kontrollverlust, vor Veränderung, vor der eigenen Bedeutungslosigkeit. Und weil diese Angst uns anfällig macht für die, die sie in einfache Worte packen, in Schuldzuweisungen, in Versprechen, die nichts kosten.

Weil wir lieber Wahrheiten kaufen, die uns gefallen, als Wahrheiten auszuhalten, die uns fordern. Weil wir glauben, wir seien immun gegen Manipulation, während wir längst Teil eines Spiels sind, dessen Regeln wir nicht einmal mehr kennen.

Weil wir keine Helden wollen, sondern Erlöser. Und genau deshalb bekommen wir das, was wir verdienen.

Es gibt eine Versuchung, die besonders unter den sogenannten Aufgeklärten weit verbreitet ist: die Versuchung, diese Leute als bloßen Irrtum zu begreifen, als ein Missverständnis, das sich mit Fakten korrigieren lässt. Man müsse nur aufklären, die Unwahrheiten entlarven, die Verführten zurück in den Schoß der Vernunft führen – und alles wäre gut.

Doch so funktioniert es nicht. Die Argumente dieser Leute sind nicht nur schlecht. Sie leben nicht nur von Lügen, sondern auch von Wahrheiten, die zu lange ignoriert wurden. Es blüht in den Rissen der Gesellschaft, in den Bruchstellen zwischen Elite und Masse, Stadt und Land, Fortschritt und Verlust. Und diese Bruchstellen haben wir selbst geschaffen. Wir alle.

Diese Leute erkennen, dass es ein Oben und ein Unten gibt, und wagen es auch auszusprechen. Jahrzehntelang dominiert die Erzählung der meritokratischen Gesellschaft: Jeder kann es schaffen, wenn er sich nur anstrengt. Bildung ist der Schlüssel. Doch während diese Botschaft in den Feuilletons gefeiert wird, stehen in den Provinzen die Fabriken still. Soziale Mobilität stagniert, die politische und wirtschaftliche Elite rekrutiert sich aus sich selbst, und Wahlen werden zu Ritualen, die nichts ändern.

Und während in den Städten von Fortschritt die Rede ist, während neue Identitäten gefeiert, alte Normen hinterfragt und über die Zukunft und New Work philosophiert wird, steht auf dem Land eine Bushaltestelle, an der kein Bus mehr hält. Eine Generation wächst heran, die lernt, dass sie nicht mehr gebraucht wird.

Diese Leute haben den Moment erkannt, als Globalisierung nicht mehr als Wohlstand, sondern als Bedrohung erscheint. Als Arbeitsplätze nicht mehr „flexibilisiert“, sondern vernichtet werden. Sie sehen die Menschen, die hören, dass ihre Region keine Zukunft hat, dass ihr Beruf aussterben wird, dass sie sich anpassen müssen – aber niemand sagt ihnen, wie.

Sie verstehen, dass das, was in urbanen Zentren als Fortschritt gilt, in anderen Teilen des Landes als Entfremdung empfunden wird. Dass Menschen nicht von Gendersternchen oder ökologischer Transformation bedroht werden, sondern von dem Gefühl, keine Rolle mehr zu spielen.

Diese Leute stellen die eine Frage, die niemand sonst stellt: „Was ist mit denen, die nicht mithalten können?“ und nehmen somit den Gedanken ernst, dass Menschen nicht nur Wohlstand wollen, sondern auch Würde – und dass es keine größere Erniedrigung gibt, als das Gefühl, überflüssig zu sein.

Und so wächst eine neue Art von Rebellion, eine, die nicht mit Argumenten, sondern mit Ablehnung operiert. Nicht, weil sie unbedingte Lösungen hat, sondern weil sie eine Frage stellt, die nie beantwortet wird: Wenn ihr so fortschrittlich seid – warum geht es dann so vielen so schlecht?

Diese Leute sind nicht unbedingt die Antwort. Aber eine neue Möglichkeit in einer Welt überheblicher Besserwisser, die keine Antworten haben.

Es gibt diese Szene, irgendwo in einem intellektuellen Zirkel, vielleicht bei einer Podiumsdiskussion, vielleicht in einem Feuilletontext, vielleicht in einer akademischen Abhandlung. Man spricht über die „anderen“, die, die es nicht verstanden haben. Die Menschen, die in vermeintlich falschen Narrativen gefangen sind, in Lügen und Vereinfachungen. Man spricht mit Bedauern, mit Entsetzen und auch mit dieser arroganten Belustigung, die andeutet, dass es am Ende doch beruhigend ist, auf der richtigen Seite zu stehen.

Die Aufgeklärten, die Intelligenzija, sie sind sich sicher, dass sie nicht Teil des Problems sind, sondern die Lösung. Und doch: Haben sie eine Lösung? Oder spielen sie nur ein anderes Spiel – eines, das vielleicht kultivierter, vielleicht reflektierter ist, aber am Ende ebenso wenig verändert wie das Geschrei auf der anderen Seite?

Man würde erwarten, dass sie die Mechanismen erkennen, dass sie verstehen. Und sie tun es, sie analysieren brillant. Sie sezieren Rhetorik, entlarven Widersprüche, benennen Gefahren. Doch während sie das tun, verstehen sie nicht, dass sie längst selbst zu einem Teil des Systems geworden sind, das sie zu kritisieren glauben.

Denn sie reden nicht mit denen, die sie retten wollen. Sie reden über sie. Sie begegnen ihnen nicht mit Neugier, sondern mit Urteil. Sie halten sich an ihrer moralischen Überlegenheit fest, als wäre sie eine Rettungsweste in einem Meer aus Ignoranz. Wer anderer Meinung ist, ist nicht einfach anders, sondern falsch. Wer falsch liegt, ist nicht zu überzeugen, sondern abzulehnen. Die Debatte verkommt zur Hierarchie: Wissen gegen Unwissen, Bildung gegen Instinkt, Feuilleton gegen Facebook.

Und so geschieht das Paradoxe: Während sie sich empören über die Spaltung der Gesellschaft, tragen sie zu ihr bei. Während sie die Verkümmerung des politischen Diskurses beklagen, haben sie längst aufgehört, sich auf ihn einzulassen. Denn sie suchen keine Verständigung, sie suchen Bestätigung – in langen Artikeln, in akademischen Seminaren, in wohlformulierten Argumenten, die nie diejenigen erreichen, an die sie adressiert sind.

Das wahre Drama ist nicht, dass die Aufgeklärten versagen. Es ist, dass sie überhaupt nicht spielen. Während der Populismus sich die Aufmerksamkeit sichert, während einfache Antworten schneller geteilt werden als differenzierte Gedanken, hält sich die Intelligenzija an einem Ideal fest, das in dieser Welt nicht mehr funktioniert: an der Vorstellung, dass das bessere Argument gewinnt.

Sie könnten anders handeln. Sie könnten weniger belehren und mehr fragen. Sie könnten weniger richten und mehr verstehen wollen. Sie könnten sich die Mühe machen, Komplexität zu übersetzen, statt sich über die Sehnsucht nach Einfachheit zu erheben. Aber das wäre unbequem. Es würde bedeuten, aus der Komfortzone der intellektuellen Selbstverständigung herauszutreten und sich der rauen, unaufgeräumten Realität zu stellen, in der Menschen nicht nach klugen Analysen suchen, sondern nach Antworten, die sie fühlen können.

Doch solange sie das nicht tun, bleibt die Intelligenzija ein Beobachter der Welt, aber kein Akteur in ihr. Sie beschreibt das Schiff, das sinkt, während diese Leute längst begonnen haben, Schwimmwesten zu verteilen.